Wir stecken in der Krise. Die Erschöpfung, der Unmut, die täglichen schlechten Pandemie-Nachrichten – all das macht uns zu schaffen. So unterschiedlich wir sind, so unterschiedlich gehen wir auch mit der Krise um. Ob das Problem nun von außen kommt (Pandemie, Virus) oder von innen (Angst, Not), jeder von uns geht damit anders um.

Das liegt wesentlich daran, dass wir unterschiedlich weit entwickelt sind. Die Forscherinnen Jane Loevinger und Susanne Cook-Greuter haben ca. 9 Entwicklungsstufen der menschlichen Persönlichkeit ausgemacht, die sich in drei Bereiche gruppieren lassen: Den präkonventionellen, den konventionellen und den postkonventionellen Bereich. Ich bezeichne diese Bereiche plakativ als Past Level, Now Level und Next Level. Lassen Sie mich exemplarisch drei Personen aus je einem dieser Bereiche herausgreifen, anhand derer ich den unterschiedlichen Umgang mit der Krise veranschauliche.

Menschen, die in Krisen versagen

Impulsive Past Level-Persönlichkeiten reagieren auf Probleme, indem sie sie entweder verleugnen oder aggressiv angehen. Ein Beispiel dafür ist Donald Trump. Sein Ego ist so groß, also seine Persönlichkeit so „klein“, dass er Ereignisse wie etwa die Pandemie als persönlichen Angriff interpretiert: „We‘re gonna win this war!“. Trump war nicht in der Lage, die Komplexität der pandemischen oder politischen Lage zu erfassen. Stattdessen suchte er meist nach einem Schuldigen für eine Lage oder ein Problem: „The Chinese invented it!“ (das Virus).

Wegen der kaum entwickelten inneren Komplexität der Persönlichkeit konnte er mit äußerer Komplexität nicht umgehen. Um sein positives Selbstbild aufrecht zu erhalten, reagierte er mit Vereinfachung in Form von Spaltung: Solche Menschen zeichnen die Welt in Schwarz und Weiß (sogar im engeren Sinne rassistisch!) und in Freund und Feind, um sie zu bewältigen. Dies führt dazu, dass sie selbst Mehrheitsmeinungen in der Gesellschaft ablehnend gegenüber stehen („die da oben“–Rufe, “Hartz 4 – Gesindel“ etc.). Vergleichbare Haltungen sind auch bei den sogenannten Querdenkern zu finden: „Masken schützen nicht!“. Past Level-Persönlichkeiten können mit komplexen Situationen nicht adäquat umgehen.

Menschen, die Krisen managen können

Now Level-Entwicklungsstufen zeichnen sich durch Expertise und eine zunehmende Fähigkeit aus, auch andere Perspektiven einzunehmen. Hier finden sich u. a. gute Manager. Markus Söder etwa stellt sich als Manager der Krise dar. Er sucht nicht nach einem Sündenbock, sondern arbeitet „mit klarer Linie produktiv nach vorne“, um die Probleme zu lösen. Die Probleme geht er mit Expertenwissen und „lösungsorientiert“ an, seine Methoden sind „state of the art“.

Auf dieser Stufe sind die eigene Meinung und das eigene Wertesystem zwar immer noch die bzw. das Beste, und Diskussionsbereitschaft mündet oft  in Kompromisse. Die meisten Staaten praktizieren Now Level-Krisenmanagement, ein Agieren, das die meisten Menschen nachvollziehen können: 80% der Bevölkerung sind nach Cook-Greuter auf Now Level. Meist hat Now Level das Große Ganze (Pandemie muss global bekämpft werden!) kaum im Auge oder entscheidet so, dass Maßnahmen oft nur einer bestimmten Gruppe von Menschen zugutekommen.

Menschen, die Krisen gut bewältigen können

Die beschriebenen Mängel ausgleichen, dazu haben Menschen mit Next Level-Natur die Fähigkeit. Solche Menschen haben ein starkes Bedürfnis, die Dinge aus einer holistischen Perspektive zu integrieren. Das bedeutet, verschiedene Interessen und Perspektiven miteinander vereinbaren zu können. Ein Beispiel bietet Greta Thunberg, die die Pandemie-Toten sicher nicht runterspielen will, wenn sie sinngemäß sagt, dass es gegen Corona irgendwann einen Impfstoff geben wird, gegen den Klimawandel jedoch nicht. Es ist oft nicht die Berufung von Next Level-Vertretern, Krisen operativ zu managen, was den Bedarf an Now Level-Persönlichkeiten unterstreicht.

Klar, unser Leben steht zurzeit unter den Notwendigkeiten der Pandemie. Die aber wird vorbeigehen. Dafür werden die existenziell bedrohlicheren Phänomene wieder in unser Bewusstsein zurückkehren.

Next Level-Persönlichkeiten verstehen ihre Identität als fluide. Das bedeutet, sie legen sich nicht auf eine Linie fest, um die dann „durchzuziehen“. Ihr fluider Charakter ermöglicht es ihnen, in komplexen Umfeldern flexibel und gleichzeitig widerstandsfähig auf Veränderungen reagieren zu können. Je vernetzter die Dinge, desto komplexer die Verhältnisse. Das erzwingt, wie schon Dietrich Dörners Bestseller „Die Logik des Misslingens“ in den 80er Jahren eindrucksvoll beschrieb, eine Entwicklung der Persönlichkeit, also der inneren Komplexität. Die unzählbar vielen Verflechtungen der Wirklichkeit (Beispiel: Klimamodelle) lassen sich mit einfach gestrickten Mustern nicht ausreichend erfassen.

Sie mögen als Leser in dieser Konzeption eine Form von sozialer Hierarchie lesen. Das meine ich nicht so. Jeder Mensch ist wertvoll als das Wesen, das er ist, und er spielt seine Rolle in der Gesellschaft. Andererseits werden die meisten Menschen kein Next Level-Bewusstsein entwickeln, weshalb sie solche Gedanken abwerten, oder ihnen gleichgültig gegenüberstehen – weil sie sie nicht verstehen.

Zusammenfassend: Entwickelte Persönlichkeiten sind besser in der Lage auf die ständig neuen Unwägbarkeiten der modernen Wirklichkeit „agil“ zu reagieren: Ihre Wahrnehmung der Welt ist so viel feinmaschiger, dass sie sich darin differenzierter und damit effektiver bewegen können. Sie greifen dazu auf ihre „reiche Innerlichkeit“ zurück und meiden gleichzeitig äußere Überreizung.

Auf Ihren Kommentar freue ich mich schon. Bei Interesse lesen Sie gerne mehr über Next Level Leadership.

Über den Autor

Jonathan Lübke ist Berater und Dozent am Institut für integrale Lebens-und Arbeitspraxis (ilea) in Esslingen. Er studierte Soziologie und Philosophie mit den Schwerpunkten Sozialphilosophie und Philosophische Anthropologie.