Schnelles Denken – langsames Denken

Daniel Kahnemann
Schnelles und langsames Denken
Siedler, 2012 (erste Auflage)
EUR 28,00

Daniel Kahnemann hat mit seinem Bestseller „Schnelles Denken – langsames Denken“ eine profunde und ausführliche Arbeit über menschliches Denken und Entscheidungsprozesse vorgelegt. Er unterscheidet er zwischen schnellem und langsamem Denken, um seine Forschungsergebnisse über menschliche Wahrnehmung und Entscheidungsfindung darzustellen. Diese beiden Arten des Denkens bezeichnet er als System 1 und System 2:

System 1: Schnelles Denken –>  „arbeitet automatisch und schnell, weitgehend mühelos und ohne willentliche Steuerung.“ (S. 33)

System 2: Langsames Denken –>  „lenkt die Aufmerksamkeit auf die anstrengenden mentalen Aktivitäten, die auf sie angewiesen sind, darunter auch komplexe Berechnungen. Die Operationen von System 2 gehen oftmals mit dem subjektiven Erleben von Handlungsmacht, Entscheidungsfreiheit und Konzentration einher.“ (S. 33)

Kahnemann führt uns anhand vieler anschaulicher Beispiele die Funktionen von System 1 und 2 vor Augen. Z.B. verdeutlicht er immer wieder, wie sehr uns System 1, also unser intuitives Verständnis von Dingen, in die Irre führt. Oberflächlich sichtbar wird das schon an bspw. optischen Täuschungen, wo unsere direkte Wahrnehmung uns etwas vorgaukelt, von dem wir eigentlich wissen (aber erst, wenn wir System 2 anstellen!), dass es eine Täuschung ist. Deutlicher und gravierender wird das Problem, wenn unser schnelles Denken dafür sorgt, dass wir jegliche Wahrscheinlichkeit ignorieren, Ambiguitäten unterdrücken und uns stattdessen mit emotional möglichst kohärenten Geschichten abfinden. System 1 ist sehr gut darin, aus (zu) wenigen Informationen eine kohärente Geschichte zu bilden. Je weniger man weiß, desto einfacher ist es, eine kohärente Geschichte zu entwerfen. Deshalb haben die dümmsten Menschen die stärksten Meinungen.

Kahnemann arbeitet immer wieder die Probleme von System 1, also unserem intuitiven, automatischen Denken heraus (so notwendig es natürlich für den Alltag ist! Ich brauche mir beim Anstellen der Kaffeemaschine oder Zähne putzen nun wirklich nicht zu viele Gedanken machen.)

Was die Lektüre des Buches mitunter etwas anstrengend macht, ist, dass alle Erkenntnisse in Form von Studienergebnissen dargeboten werden. Die vielen psychologischen Versuchsanordnungen haben mich zuweilen ermüdet. Dennoch wirkt die Klammer über die System 1 und 2 – Systematik so gut und verbindend, dass nicht das Gefühl eines Studien-Flickenteppichs entsteht.

Konsequenzen für die Führung von Morgen

Schauen wir nun darauf, welche Schlüsse sich daraus für Next Level Leadership gewinnen lassen:

  • Auf die viel gelobte Intuition ist nur in stabilen, regelhaften Umfeldern Verlass. Das bedeutet, dass sie bei zunehmender Komplexität an Analysekraft verliert.
  • Selbstreflexion ist die Währung der Zukunft! Um den Fehlschlüssen unseres schnellen Denkens zu entgehen, müssen wir uns immer wieder selbst hinterfragen und versuchen zu entwickeln. Dazu gehört die Fähigkeit, dann auch an die neuen Informationen anzupassen – das fällt Menschen sehr schwer. (vgl.: Impfgegner).
  • Praktisch müssen Führungskräfte ihre Expertenillusion in den Griff bekommen. Menschen, die viel über etwas wissen, neigen zur Selbstüberschätzung. Das erklärt, warum so viele Führungskräfte bei sich keine Fehler sehen wollen und so wenig Einsicht zeigen.
  • Es gilt Vorsicht bei Seminaren und Inhalten, die einem die Intuition allzu schmackhaft machen wollen. Es geht nicht ohne System 1, aber darf auch nicht überstrapaziert werden.
  • Einsichten aus System 2 ins Handeln zu implementieren, gelingt umso besser, desto mehr wir uns mit anderen austauschen. Das bedeutet, dass das Arbeiten in tasks und teams weiter gefördert werden sollte, denn die eine Führungsfigur, die meint, alles unter Kontrolle zu haben und über alles am besten Bescheid zu wissen, ist Schnee von gestern.

 

Über den Autor

Jonathan Lübke ist Berater und Dozent am Institut für integrale Lebens-und Arbeitspraxis (ilea) in Esslingen. Er studierte Soziologie und Philosophie mit den Schwerpunkten Sozialphilosophie und Philosophische Anthropologie.