In der deutschen Sprache hat sich der Begriff Mindset etabliert. „Die hat den passenden Mindset!“ „Sein Mindset ist mit meinem nicht kompatibel.“ – Aber was steckt eigentlich hinter dem Etikett? Und wie geht das: Mindset entwickeln?

Sie können Mindset mit Mentalität übersetzen, also mit einer vorherrschenden psychischen Persönlichkeitseigenschaft, die aus Denk- und Verhaltensmustern besteht. Ein „passender Mindset“ hat aber offenbar auch etwas mit der Kultur und den Werten des Umfelds zu tun, in dem er unterwegs ist. In der englischsprachigen Wikipedia finden Sie: „Mindset may also arise from a person’s worldview or beliefs about the meaning of life.“

In den 70er Jahren hat sich die US-Amerikanerin Jane Loevinger intensiv mit den qualitativen Merkmalen persönlichen Wachstums auseinander gesetzt. Ihr Ergebnis, ein Stufenmodell potenziellen Persönlichkeitswachstums, ist in der Entwicklungspsychologie weit verbreitet.

Mindset entwickeln findet in Stufen statt

Loevinger ermittelte rein empirisch, also ohne Annahmen oder Modelle, 8 Stufen, von denen die Stufen E3 bis E7 fürs Business relevant sind. Wir alle durchlaufen im Zuge unseres Lebens die Stufen von unten (E1) nach oben und können dabei keine Stufe überspringen. Im Ergebnis befindet sich, salopp gesagt, jeder von uns aktuell auf einer dieser Wachstumsstufen. Jede Stufe beschreibt eine Form struktureller Identität. Das bedeutet, dass sie durch allgemeingültige Denk-, Fühl- und Handlungslogiken beschrieben werden kann.

Nehmen wir als Beispiel die Stufe E5, die wir einmal mit „Richtig-Stufe“ benennen. Solche Menschen haben Kompetenzen erworben, mit denen sie sich argumentativ gut durchsetzen können. Wir könnten sie auch „Experten“ nennen. Sie treffen Entscheidungen nach dem entweder-oder-Muster und organisieren ihr Leben nach überwiegend rationalen Gesichtspunkten. Reflexionsfähigkeit und emotionale Kompetenz sind bei ihnen nur begrenzt ausgeprägt. Teamführung oder Gruppendynamik sind nicht so ihr Ding.

Welches ist Ihre Entwicklungsstufe?

Wie aber kann man Mindset messen? Loevinger arbeitete nicht mit Fragenkatalogen, wie es übliche Potenzialanalyse-Tools tun. Stattdessen fand sie geeignete Satzanfänge und bat ihre Probanden, die zu vollständigen Sätzen zu ergänzen. Daraus entstand der Washingten University Sentence Completion Test WUSCT. Sie war damit in der Lage, aus den Satzergänzungen auf die persönliche Entwicklungsstufe ihrer Probanden zu schließen. Eine anspruchsvolle Arbeit, für die eigens Menschen ausgebildet werden. Demnächst können auch Sie über ilea Ihre persönliche Mindset-Stufe ermitteln lassen.

Welches sind die bedeutenden Botschaften des Entwicklungsstufenmodells? In jeder Entwicklungsstufe gibt es ein früh, ein mittleres und ein spätes Entwicklungsstadium. Bei „Späten“ steht der Entwicklungssprung zur nächsthöheren Stufe an. Das ist praktisch relevant, wenn Sie etwa eine ExpertIn zur TeamleiterIn befördern möchten. Frühe Stufen zeichnen sich durch Egozentriertheit aus. Daher sprechen wir auch von Ich-(Rück-)Entwicklung: Je später die Stufe, desto mehr „schrumpft“ das Ego zugunsten des wahren Selbsts, das sich schließlich in Stufe 8 durch Aspekte wie Nichtwissen („ich weiß, dass ich nichts weiß“), Bescheidenheit, eine alles umfassende Empathie oder eine ausgeprägt systemische Denk-, Fühl- und Handlungsweise auszeichnet.

Äußere Komplexität erfordert komplexe Persönlichkeiten

Einen Mindset entwickeln bedeutet, dass die Persönlichkeit komplexer wird. Um äußere Komplexitäten wie technologische Komplexität, ökologische und Klima-Veränderungen oder gesellschaftlich-soziale Herausforderungen zu bewältigen, sind also Menschen auf späten Entwicklungsstufen nötig. Dasselbe gilt auch für Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Verwaltung. Denn reicht der Mindset der Führungskraft nicht an die Jobanforderungen heran, dann wird sie es schlichtweg nicht packen. Beispiele finden Sie zuhauf: Von Korruption über Betrug, über Verschleierung und Versagen bis hin zum Greenwashing. Das Peter-Prinzip lässt grüßen.

Wollen wir unsere großen Probleme erfolgreich bewältigen, dann kommen wir an Mindset entwickeln nicht vorbei – sowohl in den Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen als auch in der Politik.

Über den Autor

Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens-und Arbeitspraxis (ilea) in Esslingen. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit zwei Jahrzehnte als Führungskraft und Projektmanager in der Software-Industrie. Weitere Informationen über Michael Schwartz