Emotionen aus dem Computer?

Vor Kurzem berichtete „Die ZEIT“ über Computer, die in der Lage sind, menschliche Emotionen aus der Stimme eines Menschen “herauszulesen“. Diese Rechner können wohl bereits jetzt den echten Stimmungsgehalt eines Menschen viel besser einschätzen, als ein anderer Mensch das könnte. Dabei gehen die Forscher davon aus , dass sie zukünftig nicht nur situative Emotionen aus der Stimme analysieren könnten, sondern sogar die (dauerhafte) Persönlichkeit eines Menschen.

Wessen Emotionen sind wichtig?

Die Probleme beginnen schon bei der „wissenschaftlichen“ Herleitung. Das erkennt man daran, dass man die Rechner mit Daten von erfolgreichen You-Tubern fütterte um auszurechnen, was bei anderen Menschen „gut ankommt“. Bereits hier findet eine Fokussierung auf die Zielgruppe statt, die mit dieser Technik später kommerziell ausgenutzt werden soll. Die „Digital Natives“, junge Menschen, die einen sehr großen Teil ihrer Zeit “im Internet verbringen”, sind diejenigen, welche man am besten mit einer emotionalen Analyse ihrer Stimme an spezifische Produkte und konsumorientierte Lebensweisen bindet. Was glauben Sie, welches Unternehmen sich direkt die Rechte entsprechender Technologie gesichert hat? Richtig: Amazon. Google arbeitet ebenfalls an solcher Software. Wie viele Dystopien à la „The Circle“ oder „Qualityland“ müssen dementsprechend noch geschrieben werden, damit wir die Gefahren dieser „Durchrechnung“ des Menschen ernst nehmen? Die Dimension des Erlebens von Emotionen tritt hinter deren Berechnung und Ausbeutung zurück.

Ausbeutung von Emotionen im Namen der Wissenschaft

„Dabei identifizieren die Maschinen unzählige Faktoren, die für Menschen nicht offensichtlich sind – und deren kausaler Zusammenhang nicht nachvollziehbar ist“. Dieses Zugeben des Unverständnisses der eigenen Forschung flankiert folgendes Statement: „Für die praktischen Zusammenhänge in der nahen Zukunft mag es möglicherweise egal sein, wie die kausalen Zusammenhänge liegen – solange die maschinell gefundenen Muster zur Berechnung des Menschen reichen.“ Da fällt uns doch die Kinnlade runter. Ein Produkt, das Großunternehmen helfen wird, ihre Profite weiter zu steigern, wird als neutrale wissenschaftliche Forschung angepriesen, die nicht mal von den Leuten, die diese erstellen, verstanden wird! Der zunehmende Druck, Drittmittel aus der Wirtschaft für wissenschaftliche Forschung einwerben zu müssen, sorgt für einen Ausverkauf der Wissenschaft. Auf der anderen Seite haben auch die Unternehmen erkannt, dass Menschen am ehesten etwas glauben, wenn es mit dem Label „wissenschaftlich“ versehen ist. Deshalb bezahlen sie „wissenschaftliche Institute“ dafür, die Ergebnisse zu produzieren, die sie gerne hätten.

Was die Maschine nicht kann

Auch Menschen können spüren, ob ein Lächeln echt ist oder eine Aussage ernst gemeint ist. Dabei mögen sie sich häufiger täuschen als die ausgereifte Maschine, mag sein. Der entscheidende Unterschied ist aber: Ein Mensch kann, als Mensch, antworten. Ein Mensch kann das Lächeln erwidern, kann auf seelische Zustände einfühlend eingehen. Deshalb können Menschen in eine Antwortbeziehung miteinander treten, eine Resonanzbeziehung. Die Maschine kann mich analysieren, aber danach bin ich immer noch allein. Das Fortschreiten dieser berechnenden Technologien killt Resonanzräume. Alles richtet sich nach der fehlerlos berechnenden Klarheit auf dem Bildschirm, bis menschliches Leben nur noch aus Nullen und Einsen besteht – wahrscheinlich eher nur noch aus Nullen.

„Die selbst ernannten Experten und Auskenner sagen immer, wir dürfen den Anschluss nicht verlieren. […] Was aber, wenn die, die vorausrennen, in die falsche Richtung laufen?“ (Das Känguru)

 

Über den Autor

Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens-und Arbeitspraxis (ilea) in Esslingen. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit zwei Jahrzehnte als Führungskraft und Projektmanager in der Software-Industrie. Weitere Informationen über Michael Schwartz