Alles ruft nach Agilität

Das Trendwort Agilität bleibt weiterhin in aller Munde. Dabei weiß nach wie vor niemand, was das genau ist. Dennoch steht es so gut wie auf jeder unternehmerischen Agenda. Was Agilität bedeutet, und warum sie nicht für jeden und immer das Richtige ist, beschreibt Svenja Hofert in einem substanziellen Artikel.

Hofert macht die Inflation des Begriffs im Laufe der letzten Jahre deutlich. Repräsentativ dafür stehen Jobbezeichnungen wie „agiler Coach“ oder „Agility-Master“. Viele Unternehmen versuchen, auf den Zug aufzuspringen, ohne sich dabei im Klaren darüber zu sein, welche Folgen das für sie hat. In Ermangelung eines klaren Verständnisses erhoffen sie sich eine Art Zaubertrank. Hofert meint, dass wir Agilität nicht als einen „Knopf“ verstehen dürften, den man drückt, und dann wird alles besser. Was macht Agilität aus?

Zentrale Merkmale von Agilität

Es gibt nicht „die eine“ Kategorie, mit der allein sich Agilität beschreiben ließe. „Sie ist deshalb vielmehr ein Mindset, eine Haltung- und Denk- und Handlungslogik“, so Hofert. Eine agile Haltung zeichne sich etwa durch das Fördern einer Fehler- und Scheiterkultur und durch Hilfe zur Selbsthilfe aus. Hofert betont weiterhin, dass agile Unternehmen in personenunabhängigen Rollen und nicht mehr in Positionen denken.

Weiterhin braucht Agilität Werte und Prinzipien, argumentiert Hofert. Dazu zählten z.B. Respekt oder auch eine sinnvoll erscheinende Vision. Ohne die Bereitschaft, sich selbst und seine Arbeitsweise zu ändern, könne man nicht agil(er) werden. Agilität wird durch eine Wir-Haltung gestärkt und durch Egomanie geschwächt, stellt Hofert heraus. Das bedeutet auch, dass Menschen Agilität über die Zeit lernen müssten, dass also Agilität nicht von heute auf morgen entstehen kann.

Agilität ist ein evolutionärer Prozess. Nach der Erfahrung von Hofert sind agile Umfelder an der Integration von Reflexion, intensiver Kommunikation und Feedback erkennbar. Dadurch werden die Selbstorganisation sowie die persönliche Entwicklung und Reife der Beteiligten gefördert. Hofert meint, dass die Ausgangsbasis für die Entwicklung von Agilität die Führungs- und Unternehmenskultur ist. Agilität könne man als einen „Regler“ verstehen.

Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass das verbreitete „Entweder-Oder-Denken“ in eine „Sowohl-als-auch-Haltung“ übersetzt wird. Das bedeute, in komplexen und vielleicht widersprüchlichen Umfeldern nicht in einseitigen Aktionismus zu verfallen, sondern alle Optionen einbeziehen zu können. Nach Hofert denkt agile Führung nicht in falsch-oder-richtig-Kategorien, sondern entscheidet, was für den Moment passend und sinnvoll ist.

Sechs Gründe, beim Alten zu bleiben

Hofert führt in ihrem Artikel sechs Gründe auf, warum Sie beim Thema Agilität genau hinschauen sollten. Agilität ist nicht für jedermann und nicht für jedes Unternehmen immer das Richtige:

Erstens: Mitarbeiter und alle Beteiligten sollen mehr miteinander kommunizieren. Das könne auch dazu führen, dass sie mehr mitreden wollen. Das  wiederum bedeutet für viele Führungskräfte, dass sie mit der „Kommunikation auf Augenhöhe“ ernstmachen müssen, was aber vielen immer noch nicht gelingt, meint Hofert. Demokratie müsse man auch aushalten können.

Zweitens erfordert Agilität, individuell auf die Mitarbeiter einzugehen, die fragen und mitbestimmen wollen. Das ist ein nicht unerheblicher Aufwand, dessen man sich bewusst sein sollte, betont Hofert.

Nach Hofert besteht drittens eine weitere Schwierigkeit darin, Widersprüche zu checken und gegebenenfalls auszudiskutieren. Diese Widersprüche entfalten sich beispielsweise zwischen neuen Leitwerten und manifestierten Werten.

Viertens bedeutet Agilität durchaus manchmal auch, dass „alles erstmal schlechter wird“. Das ist, so Hofert, etwas, was Sie in Kauf nehmen müssen, wenn Sie sich agil aufstellen wollen.

Das wiederum führt fünftens unter Umständen auch dazu, einmal gesteckte Ziele wieder fallen lassen zu können. Hofert unterstreicht die Wichtigkeit, iterative Schleifen zu drehen und Prozesse immer wieder in Frage zu stellen. „Was war gut?“ Aber eben auch: „Was geht besser?“

Sechstens sind kritische Punkte auf dem agilen Weg nach Hofert das in-Frage-Stellen der eigenen Haltung und das Arbeiten am eigenen Mindset. “Fangen Sie erstmal bei sich selbst an”. Durch intensive Reflexion wird die natürliche menschliche Selbstbestätigungstendenz ausgehebelt. Damit gelingt es Menschen beispielsweise, verschiedene Wahrheiten nebeneinander zu akzeptieren, und mit Widersprüchen produktiv umzugehen.

Begreift man agile Führung als einen Sowohl-als-auch-Ansatz, ist sie kein Werkzeug, sondern eine ganze Kiste.“ (Svenja Hofert)

Agilität ist nicht immer notwendig

Noch schwieriger ist es zu entscheiden, wann und wo die richtige Zeit und der richtige Ort für Agilität ist. Gegenwärtig meinen alle, sich agil aufstellen zu müssen. Das führt nur zu weiteren Missverständnissen. Da Agilität letztlich die Kultur eines Unternehmens betrifft, ist das kein einfaches „Projekt“ oder eine „Maßnahme“. Obwohl Agilität prinzipiell Schnelligkeit und Flexibilität verspricht, benötigt ihre Realisierung häufig viel Zeit. Eine Teamentwicklung hin zu einem agilen Team geht nicht von heute auf morgen. Agile Methoden können dabei helfen, die Eigenständigkeit der Mitarbeiter in ihren jeweiligen Umfeldern zu erhöhen, und fruchtbare Zusammenarbeit zu ermöglichen. Auch die Innovationsbereitschaft wächst in agilen Teams. Letztlich, so Hofert, dürfen wir uns nicht einbilden, dass Agilität von heute auf morgen entsteht.

Lesen Sie bei Interesse auch den Original-Artikel von Svenja Hofert.

 

Über den Autor

Michael Schwartz leitet das Institut für integrale Lebens-und Arbeitspraxis (ilea) in Esslingen. Der Diplom-Physiker arbeitete vor seiner Beratertätigkeit zwei Jahrzehnte als Führungskraft und Projektmanager in der Software-Industrie. Weitere Informationen über Michael Schwartz